Wirtschaft und Weiterbildung 1/2023
damit auch Geld zu verdienen eine an dere Sache. Goertz weist darauf hin, dass man offenbar mit mobilen Anwendungen und Apps als E-Learning-Anbieter Geld verdienen kann. Profitierten früher in erster Linie die professionellen Hersteller von Erklärfilmen, deren Kundinnen und Kunden die Videos zu Marketingzwecken nutzten, können nun auch Lehrende („Edu-Tuber“) mit eigenen Videos Geld verdienen – zum Beispiel auf Youtube oder als Autorin oder Autor für Plattfor men wie „Sofatutor“. Neben Lernvideos werden auch immersive Lernwendungen kommerziell interessanter. Bei „Virtual Reality“ sehen die Hälfte der Befragten einen lukrativen Markt, ebenso bei KI-un terstützten Anwendungen – zum Beispiel Adaptive Learning oder Chatbots. Als zukunftsträchtig gelten auch „Micro Credentials“, also Mini-Zertifikate für be stimmte Lernleistungen. Sie belohnen in der Regel informelles Lernen und werden für eine stärkere Entwicklung hin zum eigenverantwortlichen Lernen parallel zur Arbeit sorgen. Auch soll die Bedeu tung von Onlineangeboten zum Erlernen von Sprachen gegenüber den klassischen Sprachlernangeboten in Präsenz steigen. Bei KI-gestützten Sprachlernapps steht ebenfalls das selbstverantwortliche Ler nen im Vordergrund. Die „Motivatoren“ sind hier Avatare wie „Sara“ von Babbel, die die täglichen Lernfortschritte per Mail kommentiert. Das Publikum warf auch die Frage auf, ob die Digitalisierung nicht eine Gefahr für klassische Bildungseinrichtungen sei. Aber das MMB-Institut beruhigt: Es wird immer eine Nachfrage geben für Lernan gebote vor Ort mit echten Dozentinnen und Dozenten, für bestimmte Zielgrup pen oder als Premium-Learning-Angebot geben. Die Digitalisierung ist nicht das Heil für alle, aber alle sollten der Digita lisierung gegenüber offener sein. Welche Tools gibt es, die ich als Lehrender oder als Einrichtung gut in meine Angebote in tegrieren kann? Was können wir vielleicht sogar selbst oder in Kooperation entwi ckeln? Hierzu braucht es nicht immer Millionenbeträge, sondern den Mut, ein Gefahr für klassische Bildungsanbieter?
fach mal was auszuprobieren, so Goertz. Was bringt die Zukunft? Man schaue sich das Angebot von Masterclass an, wo Hollywoodstars, berühmte Wissenschaft ler und Wissenschaftlerinnen ihr Fach wissen in gut und aufwändig produzier ten Video-Tutorials teilen. Beim Lehren und Lernen gibt es außer dem schon eine ganze Reihe an Lösun gen, wo Lernende und Lehrende mithilfe von künstlicher Intelligenz unterstützt werden – zum Beispiel indem Leistungs daten der Lernenden dokumentiert und statistisch ausgewertet werden, um ihnen dann personalisierte Lern- und Übungs aufgaben bereitzustellen. Sprachverste hende Assistenzsysteme ermöglichen menschenähnliche Kommunikation und Interaktion und agieren vermehrt als vir tuelle Hilfslehrer oder Tutoren. Diese Sys teme entlasten Lehrkräfte beim Prüfen, Testen und Benoten, aber auch bei Bera tung und pädagogischer Intervention. Martin Pichler R
Weise. Als Arbeit gilt künftig die Summe aller Beschäftigungen, die man in ganz unterschiedlichen Lebensphasen haupt beruflich ausübt.
Trends beim Lernen mit digitalen Medien
Der zweite Keynote-Speaker war Dr. Lutz Goertz, Leiter Bildungsforschung beim MMB Institut – Gesellschaft für Medien- und Kompetenzforschung mbH in Essen. Er sprach über den Trend zum individu ellen Lernen. Eine aktuelle Umfrage des MMB Instituts ergab, dass im Jahr 2022 in Deutschland Learning Nuggets (94 Prozent, Vorjahr 87 Prozent) und Youtube-Videos (93 Pro zent, Vorjahr 90 Prozent) beim privaten wie beruflichen Lernen hoch im Kurs ste hen. Die Menschen sind offenbar beim Lernen immer mehr auf sich selbst ge stellt und wollen ihre Probleme bei der täglichen Arbeit mit Lernhäppchen oder Lernvideos selbst lösen. Immerhin gibt es auf Youtube kaum ein Thema, das nicht in Erklärvideos behandelt wird. Welche weiteren Lernformen haben in der Gunst der Befragten seit dem letz ten Jahr hinzugewonnen? Hier haben laut Goertz Simulationen einen großen Sprung nach vorn gemacht. Auch Social Networks werden wichtiger, was sicher lich auch dem Home-Office-Boom ge schuldet ist, bei dem Kommunikationsan wendungen wie „Teams“ zum Dreh- und Angelpunkt des Austauschs zwischen Kolleginnen und Kollegen geworden sind – auch zum Lernen. Ein Trend dürfte für Fernschulen und Fernunis besonders interessant sein: Die Jahre 2020 und 2021 haben eine Fülle von neuen Formen der Onlineprüfungen po pulär gemacht – Open-Book-Klausuren, mündliche Prüfungen via Videokonferenz und KI-gestütztes Proctoring von Home Klausuren. Andere digitale Formen von Prüfungen konnten sich weiter etablieren. Goetz: „Es bleibt abzuwarten, ob sich bei den Onlineprüfungen KI-gestützte Auf sichtsformen durchsetzen werden, in denen eine Software deutlich günstiger als menschliche Aufsichtspersonen einen Verdacht auf Täuschung meldet.“ Ein zukunftsfähiges Lernwerkzeug auf den Markt zu bringen, ist das eine, aber
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