Wirtschaft und Weiterbildung 1/2023

grundls grundgesetz

Boris Grundl

Der Jahreswechsel ist das kollektive Ritual des Neu beginns. Zwölf Monate liegen vor uns wie ein leeres Blatt Papier. Sehr schnell werden aus bewusst gesetzten Zielen unbewusste Forderungen: Uner füllte Erwartungen entwickeln sich zu Unglücksga ranten, erfüllte Erwartungen mutieren zur Selbst verständlichkeit. Vermeiden lässt sich diese Falle, indem wir unsere Haltung bei Erwartungen klarer differenzieren: Es Paragraf 111 Äußere Wünsche, keine Ansprüche Die besten Führungskräfte verfügen über die Fähigkeit des zupackenden Loslassens. „ „ gibt Bedürfnisse, Ansprüche und Wünsche. Bedürf nisse erkennen wir durch die Worte „Ich brauche …“. Bei einem Baby zeigen sie sich sehr klar: Schlaf, Nahrung, Sauberkeit und ein liebevolles Umfeld. Natürlich haben auch Erwachsene Bedürfnisse. In einem bestimmten Bereich machen sie sehr viel Sinn, woanders limitieren sie uns. Interessant wird es in Situationen, die objektiv keineswegs existenzi ell bedrohlich sind und trotzdem zu passiv-aggres siven Anklagen führen. Dann kippt es. Dieses Verhalten äußert sich, wenn jemand ein bestimmtes Ergebnis anvisiert, dafür aber nicht den Preis zahlen will. Der innere Druck entlädt sich als Klage nach außen. Menschen manövrieren sich in die Opferhaltung und nehmen andere in Haft: „Wenn du mir dieses verwehrst, kann ich jenes nicht erreichen.“ Oder: „Weil du das gesagt hast, bin ich demotiviert.“ Diese Sätze kennen wir alle – als Absender und Adressat. Pocht jemand auf sein Recht, formuliert er Ansprü che: „Ich verlange … von dir, meinem Chef, dem Team, meinem Partner, vom Leben …“ Hohe Ansprü che klingen erst einmal positiv-leistungsorientiert.

Doch sie sind nur bis zu einem bestimmten Grad sinnvoll. Darüber hinaus schaden sie uns. Denn was passiert, wenn ich von anderen mehr fordere als von mir? Dann hagelt es Vorwürfe: „Du musst, die müssten, alle sollten, was fällt dir ein …“ Ansprüche an andere verhindern Anerkennung. Egal, wie gut jemand abliefert – er erfüllt immer nur das Mindest maß. Oft stellen Menschen an sich selbst so hohe Ansprüche, dass sie ausbrennen. Meistern sie eine

Aufgabe, setzen sie die eigene Leistung herab: „Es ist ja normal, dass ich das erreicht habe.“ Gelingen neun von zehn Projekte, bemerken viele nur den einen Fehlschlag. Erst die dritte Haltung bringt uns wirklich

weiter: Wünsche. Manche empfinden Wünsche als schwammig und wachsweich. Stimmt das? Stellen Sie sich vor, ein Mensch bittet Sie um ein Gespräch und fordert: „Ich will, dass du …“, „Ich brauche von dir …“, „Ich verlange, dass …“ Keine gute Basis. Viel mehr Türen öffnen sich bei folgendem Ansatz: „Ich würde mir wünschen …“, „Kannst du dir vorstellen, dass …“ Wünsche lassen dem Gegenüber Raum. Und man selbst spürt Vorfreude – ohne dass daraus ein Anspruch wird. Beim Wünschen hat jemand eine konkrete Vorstel lung der Zukunft. Er handelt konsequent in diese Richtung. Dabei vergewaltigt er weder sich noch andere und besinnt sich auf das Mögliche. Für ihn steht fest, dass er sein Ziel irgendwann erreicht. Es bleibt nur die Frage wann und wie. Am Ende kann er zupacken und gleichzeitig loslassen. Die besten Führungskräfte verfügen genau über diese Fähig keit – zupackendes Loslassen. Sie handeln kraft voll, packen zu und lassen gleichzeitig los. Diesen mentalen Zustand wünsche ich Ihnen von Herzen – nicht nur für dieses Jahr, sondern für alle Zeit, die Sie auf dieser Welt bekommen haben.

Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Er gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Jüngst wurde von ihm die Neufassung des Buchs „Leading Simple“ (Gabal Verlag) auf den Markt gebracht. Die aktuelle Website findet sich unter www.grundl-institut.de.

56 wirtschaft + weiterbildung 01_2023

Made with FlippingBook - Online catalogs